Harn- und Stuhlinkontinenz

Aus gegebenem Anlass möchte ich hier das Thema „Blasen- und Darmfunktionsstörungen“ nochmals angehen und meine persönlichen Erfahrungen mitteilen.

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Man sagt, dass so zwischen sieben und acht Millionen Menschen in Deutschland von Inkontinenz betroffen sind. Sie können ihren Harndrang bzw. Schließmuskel des Afters nicht mehr richtig kontrollieren. Das führt dann unweigerlich zu einer Harn- und Stuhlinkontinenz. Und genau das ist in der deutschen Öffentlichkeit ein großes Tabuthema.

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Die Hemmschwelle der Betroffenen, sich medizinischen Rat und damit auch Hilfe zu holen, ist hoch. Die meisten empfinden so große Scham, dass sie häufig nicht einmal mit ihrem Arzt darüber sprechen möchten. Auch – oder gerade – gegenüber dem Partner, Freunden oder engen Verwandten versuchen viele, die Erkrankung zu verheimlichen oder ihre Bedeutung herunter zu spielen.

Die Folge ist ein stilles Leiden unter den körperlichen und schließlich auch schweren psychischen Belastungen. Nicht selten entwickeln die Betroffenen Depressionen und ziehen sich völlig aus dem gesellschaftlichen Leben zurück.
Und genau das ist mir auch passiert. Darum möchte ich hier ein wenig aufklären und die Angst nehmen. Wir MS-Patienten haben die Probleme sehr häufig. Aber es gibt auch Hilfen, die die Probleme ein wenig erträglicher machen.

Was ist eigentlich Harninkontinenz und was Stuhlinkontinenz?
Es folgt eine kurze Erklärung, von was wir hier überhaupt reden:


Harninkontinenz

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Mit ungefähr sechs Millionen Patienten ist die Harninkontinenz in Deutschland eine der häufigsten Erkrankungen. Die Ursachen für diese Harninkontinenz können sehr vielfältig sein. Häufig führt eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, bei Frauen vor allem nach einer Schwangerschaft oder einer Blasenentzündung, zum unkontrollierten Wasserlassen. Auch Nerven- oder Muskelschäden aufgrund von Operationen oder Verletzungen können die Kontinenz beeinträchtigen.

Auch gerne genommen wird die Multiple Sklerose.

Jegliches Pressen und damit Druck auf die Beckenbodenmuskulatur kann unkontrolliertes Wasserlassen herbeiführen – ausgelöst durch Reflexe wie Husten, Niesen, Lachen oder ganz alltägliche, leichte körperliche Belastungen.
Eine weitere häufige Form der Inkontinenz ist die Reizblase, auch Dranginkontinenz oder überaktive Blase genannt. Typisches Symptom ist das sehr häufige und starke Bedürfnis, Wasser zu lassen, oft bis zu 20mal am Tag.
Der Harndrang setzt fast immer plötzlich und überfallartig ein. Die Angst vor dem unberechenbaren Drang kann dir den ganzen Tagesablauf beeinflussen.
Wir vermeiden zum Beispiel gezielt Veranstaltungen, bei denen nicht sicher ist, ob und wenn ja, wo eine Toilette verfügbar ist. Der erste Blick, wenn man einen fremden bzw. öffentlich Raum, wie z.B. Restaurants oder Veranstaltungen, betritt, ist, das abchecken, wo die nächste Toilette ist.
Auch hier sind Depressionen als Folge nicht selten.

Die Dranginkontinenz wurde bis vor einigen Jahren eher konservativ behandelt, mit Verhaltenstraining und Medikamenten. Bei Vielen schlagen diese Behandlungsformen jedoch nur schlecht oder gar nicht an. Als letzte Möglichkeit blieb uns lange Zeit nur ein großer operativer Eingriff mit ungewissem Ausgang. Da überlegt man sich zweimal, ob ich mit dem Problem zum Arzt gehe.


Stuhlinkontinenz

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Menschen, die ihren Stuhlgang nicht bewusst steuern können, haben eine Stuhlinkontinenz. Und das ist ja noch mal eine Steigerung unserer Probleme und Sorgen.

Rund 800.000 Menschen leiden in Deutschland unter dieser so genannten Stuhlinkontinenz.
Vielen ist ihr Leiden äußerst peinlich und unangenehm. Oft nehmen sie große Beeinträchtigungen ihres sozialen Lebens in Kauf, weil sie aus Scham nicht mit ihrem Arzt über diese allgemein immer noch stark tabuisierte Erkrankung sprechen wollen.
Die Ursachen der Stuhlinkontinenz, auch Fäkalinkontinenz genannt, sind vielfältig: Bei 80 Prozent der Patienten werden sogar mehrere Ursachen diagnostiziert. Grundsätzlich liegt immer eine Schädigung oder Veränderung der beteiligten Muskeln oder Nerven im After-Bereich vor.

So kann zum Beispiel eine gestörte Schließmuskelfunktion durch Verletzungen bei der Geburt eines Kindes oder auch Schädigungen der Nerven (Multiple Sklerose), oder auch wie sie bei Querschnittsverletzten vorkommen, für die unwillentliche Stuhlentleerung verantwortlich sein.

Ähnlich wie bei der Harninkontinenz wird als Therapie bei einigen Patienten auf die Beckenbodengymnastik zurückgegriffen. Viele erzielen damit nach intensivem Training gute Ergebnisse.
Trotzdem helfen bei einigen von uns weder Gymnastik noch Medikamente.
Wir haben meist schon eine Vielzahl herkömmlicher Behandlungsmethoden erfolglos ausprobiert. Als scheinbar letzter Ausweg bleibt dann nur eine schwerwiegende Operation, deren Risiken meist nicht genau abschätzbar sind. Und das überlege ich mir doch zweimal.

Innovative Technologien geben Mittlerweile für Harn- bzw. Stuhlinkontinenz-Patienten, die bereits viele verschiedene Therapien erfolglos durchlaufen haben, neue Hoffnung


Mein persönlicher Leidensweg begann vor etwa drei Jahren.

Erst begann es mit einer kombinierten Blasenfunktionsstörung. Ich konnte den Urin nicht richtig halten. Ständig Verlangen, aber dann kam nichts raus aus der Blase. Wenn etwas rauskam, dann nur sehr wenig. Kaum hatte ich die Hose wieder an, musste ich wieder. Das wiederholte sich mehrfach. Oder ich musste eine ganze Zeit gar nicht und dann blieb mir nur knapp eine Minute Zeit, bis sich alle Schleusen öffneten. Auch nachts musste ich mehrmals aufstehen um etwas Wasser zu lassen.

War dann in Mönchengladbach in der Neuro-Urologie. Ich wusste jetzt, was genau ich genau habe (Blasenfunktionsstörung), aber richtig helfen konnte man mir da auch nicht.
Schließlich bekam ich von meinem Urologen ein Medikament, das mir erlaubt nachts wieder durchzuschlafen. Die Prostata funktionierte.

Blasenwegs Entzündungen gab es da noch mehrmals oben drauf.

Jetzt begann der Darm auch noch zu spinnen.
Einen Internistischen Dauerlauf gab es dann. War mittlerweile bei zwei verschiedenen Internisten in Behandlung. Magenspiegelung, Darmspiegelung (kleine- und große Hafenrundfahrt), Stuhlproben, Blutwerte, Lactose-Test, Fructose-Test, usw.  Jetzt entzündete sich die Gallenblase mit einem 4cm Gallenstein. Das wurde beides entfernt.

Im Endeffekt bekam ich nach längerer Zeit die Diagnosen: Lactoseintoleranz, Fettverdauungsstörung!
Und jetzt? Wie geht es nun weiter? Helfen konnte man mir nicht wirklich.

Die Darmstörungen wurden immer schlimmer. Verstopfungen, Durchfälle und Stuhlinkontinenz im Wechsel. Das war jetzt die Hölle. Aus dem öffentlichen Leben zog ich mich immer weiter zurück.

Es musste jetzt was passieren. Beim nächsten Besuch meines Neurologen sprach ich die ganze Sache mal an. Da es schließlich auf meine Psyche schlug. Proktologisch konnte er mir nicht helfen, aber er überwies mich nach Düsseldorf zu einem speziellen Krankenhaus die proktologisch Ahnung haben. Der Arzt dort untersuchte mich. Meine Frau hatte im Vorfeld im Internet was von einem Schrittmacher gelesen. Aber vorstellen konnten wir uns da nichts. Aber wir haben den Arzt in Düsseldorf da drauf angesprochen. Er hatte da nicht so die Ahnung von, aber gab mir den Tipp von einem Bekannten Arzt, der viel mit diesem Schrittmacher für den Darm arbeitet. Er rief den ehemaligen Kollegen in Rheydt an und erklärte ihm meine Problematik. Fragte nach meiner Telefonnummer und sagte, er meldet sich.
Am nächsten Tag hat mich dieser Arzt aus Rheydt angerufen und mit mir einen Untersuchungstermin vereinbart.

Jetzt begann die Geschichte „Blasen- und Darmschrittmacher“. Ich habe mich auf diese Sache eingelassen.


Der Blasen- bzw. Darmschrittmacher!
(sakrale Nervenstimmulation)

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Er stimuliert mit leichten elektrischen Impulsen gezielt die für die Kontinenz zuständigen Nerven im Beckenbereich (Sakralnerven). Patienten mit dauerhaften Funktionsstörungen des Harn- oder Darmtraktes haben in den letzten Jahren bereits sehr gute Erfahrungen mit dieser neuen Technologie gemacht. Bei vielen kann damit eine große Operation vermieden werden.

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Elektrischer Strom findet in der Medizin schon länger erfolgreiche Anwendung. Werden Nerven durch elektrische Impulse gezielt beeinflusst, so sprechen Mediziner von Neurostimulation oder auch Neuromodulation.

Die Sakralnerven befinden sich im Bereich des Kreuzbeins, unmittelbar oberhalb des Steißbeins, und sind sowohl bei der Harn- als auch der Stuhlkontinenz von entscheidender Bedeutung.
Über sie sendet das Gehirn Befehle als elektrische Impulse über das Rückenmark an Dickdarm und Blase. Bei gesunden Menschen wird zum Beispiel die Information einer vollen Blase oder eines vollen Rektums (Mastdarms) als Botschaft über die Sakralnerven an das Gehirn übermittelt. Manchmal kommt es jedoch zu ungewollten oder sogar irrtümlichen Mitteilungen, die über die Nervenbahnen gesendet werden.

Gerade bei der Multiplen Sklerose ist das oft der Fall.

Die Neurostimulation kann dabei helfen, sie zu korrigieren. Sie verwendet dazu schwache und ungefährliche elektrische Impulse

Das Herzstück der sakralen Neurostimulation ist der Stimulator, eine Art kleiner Schrittmacher, der im Gesäß oder im Bauchbereich des Patienten implantiert wird. Von dort sendet er seine elektrischen Impulse an die jeweiligen Sakralnerven. Da es im menschlichen Beckenbereich eine ganze Reihe dieser Nervenstränge gibt, versucht der behandelnde Arzt genau den Nerv zu finden, der die für die Blase bzw. den Darm zuständigen Muskeln am besten stimuliert.

Erstmal musste ich vorher ein Stuhltagebuch führen, um den Ist-Zustand der Problematik festzuhalten. Ca. 2 Wochen lang.

Jetzt wird zunächst eine Teststimulation mit externem Stimulator durchgeführt, um die Wirksamkeit zu testen und individuell festzustellen, ob der Patient auf die Therapie anspricht. Der Arzt führt also einen dünnen Draht, eine so genannte Elektrode, in den Kreuzbeinbereich ein und schließt die Elektrode am externen Stimulator an – ein kleines Gerät in der Größe eines Piepers, das während der gesamten Testphase am Gürtel zu tragen ist.
Der Eingriff ist minimalinvasiv und dauert ca. 20 Minuten. Es wurden nur 3 kleine Schnitte in die Haut gemacht. Maximal drei Tage ist man im Krankenhaus.

Ich hatte vor der OP massive Stuhl-Probleme. Als ich dann nach der OP wieder wach war, waren die Probleme wie weggeblasen. Das war ein unbeschreibliches Gefühl.

Ich hatte dann während dieser Testphase eine wichtige Aufgabe: Um die Wirkung der sakralen Neurostimulation zuverlässig beurteilen zu können, ist mein Arzt auf die Beobachtungen von mir angewiesen.

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Deshalb führte nochmal 2 Wochen genau Tagebuch über die Symptome, die Blasen- oder Darmaktivität und wie sie sich unter dem Einfluss der Stimulation verändert. Im Anschluss wertete mein Arzt die Aufzeichnungen aus und zog Rückschlüsse auf die Wirksamkeit des Verfahrens.

Mir ging es jetzt viel besser und konnte entspannt das Haus verlassen.

Jetzt wurde mir der externe Schrittmacher wieder entfernt. Und wieder 2 Wochen Stuhltagebuch führen. Wenn sich jetzt die Situation wieder verschlechtert, ist das ein Indiz dafür, dass es mit dem Schrittmacher funktioniert.

Und genauso war es dann bei mir auch. Also einen Termin für die 2. OP vereinbart, um den permanenten Schrittmacher zu implantieren.

Die OP dauert wieder nur ca. 20 Minuten. Der Impulsgeber wird mit der bei der ersten OP eingesetzten Elektrode verbunden. Der Schrittmacher liegt nur subkutan unter der Haut. Absolut schmerzfrei und ohne Probleme. Nach 3 Tagen war ich wieder zu Hause.

Man erlebt die schwachen elektrischen Impulse des Stimulators anfangs häufig als leichtes Kribbeln im Beckenbereich. In Absprache mit dem behandelnden Arzt wird das Gerät so eingestellt, dass das Gefühl keinesfalls unangenehm ist. Nach ein paar Stunden gewöhnt man sich an die Impulse und man nimmt den Schrittmacher gar nicht mehr wahr.

Ein zusätzliches Plus an Komfort und Sicherheit: Der Einzelne kann die Stromstärke

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Fernbedienung

der Impulse in vorher vom Arzt festgelegten Grenzen selbst regulieren und wenn nötig, das Gerät kurzzeitig auch ganz ausschalten.  

Ebenfalls wichtig zu wissen: Die Nerven werden durch die elektrische Stimulation nicht geschädigt.

Neben der ungefährlichen Stärke der Stromimpulse sorgen dafür auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen, bei denen der Arzt den Erfolg der Neuromodulationstherapie überprüft.

Die Lebensdauer der Batterie hängt von der individuellen Einstellung des Schrittmachers ab. Je häufiger und intensiver das Gerät im Einsatz ist, umso kürzer ist auch die Haltbarkeit der Stromquelle. Durchschnittlich liegt die Lebensdauer jedoch bei beachtlichen sechs Jahren.

Zudem ist der Austausch der Batterie unproblematisch: Ein kleiner Hautschnittunter lokaler Betäubung und der Patient hat für die nächsten sechs bis acht Jahre wieder Ruhe.

Alles in Allem: Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Für mich hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Man sagt, dass es bei ca. 70-80 % funktioniert. Und ich gehöre dazu.

(Quellen: hna.de, Medtronic.com, www.sk-mg.de/de/Kompetenzzentrum-Koloproktologie-2.htm)

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