Fatigue
Fatigue: Hirnmechanismen aufgeklärt?
Schon nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung beklagen viele MS-Patienten eine schnelle Ermüdbarkeit und Energielosigkeit.
Die Fatigue als MS bedingte Erschöpfung ist mehr als ein vorübergehendes Leistungstief. Sie kann den Alltag massiv einschränken.
Die Auswirkungen von Fatigue können individuell sehr unterschiedlich sein. Viele Patienten fühlen sich bereits nach Alltagstätigkeiten, die sie früher nicht angestrengt haben, wie Duschen, Abwaschen oder Staubsaugen, völlig ausgelaugt. Bei einigen Patienten geht der Erschöpfungszustand zudem mit einer Verschlechterung anderer MS-Symptome einher, etwa einer Zunahme der Bewegungs-, Konzentrations- oder Sehstörungen.
Die Fatigue tritt bei einigen Patienten nur während eines Schubes auf. Bei vielen geht sie jedoch in einen chronischen Zustand über und bleibt anhaltend bestehen. Ihre Schwere nimmt allerdings in aller Regel nicht weiter zu. Je nach Intensität der Fatigue kann sie zu erheblichen Problemen im Alltag und Einschränkungen der Lebensqualität führen. Auch am Arbeitsplatz besteht die Gefahr einer ständigen Überforderung, weil die Erkrankten Angst davor haben, als faul und unwillig zu gelten.
Die Ursachen der Fatigue sind weitgehend unbekannt. Generell werden zwei Formen unterschieden: primäre und sekundäre Fatigue.
Experten führen die primäre Fatigue unmittelbar auf die MS zurück: die MS-typischen Schädigungen des zentralen Nervensystems (ZNS) haben eine Verlangsamung der Reaktionen zur Folge, was zu einer abnormen Müdigkeit führt.
Die sekundäre Fatigue hingegen ist nicht direkt auf die MS zurückzuführen. Hier können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. So schränken Schlafstörungen die Leistungsfähigkeit am Tage ein und erhöhen die Ermüdbarkeit. Symptome wie Geh- und Sehstörungen können dazu führen, dass alltägliche Tätigkeiten für den Körper sehr anstrengend sind und schneller eine Erschöpfung eintritt.
Auch Depressionen, die in Folge der Nervenschädigungen oder der psychischen Belastung durch die MS auftreten, können mit einer ausgeprägten Müdigkeit einhergehen. Darüber hinaus können einige Medikamente als Nebenwirkung zu Müdigkeit führen.
Fatigue gehört zu den belastendsten Symptomen
Für jeden dritten MS-Patienten ist Fatigue das am meisten belastende Symptom der Erkrankung. Die Ursachen sind derzeit noch unbekannt. Über 80 % der Patienten leiden unter Schwäche und Mattigkeit, die über den Tag zunimmt und sich deutlich von der Müdigkeit unterscheidet, wie sie gesunde Menschen erleben. Zudem besteht noch eine erhöhte Erschöpfbarkeit, wenn Patienten kognitive oder motorische Tätigkeiten ausführen.
Einem Team von Ärzten und Wissenschaftlern aus den Kliniken Schmieder Konstanz und Heidelberg ist unter der Leitung von Prof. Dr. med. Christian Dettmers, Mitglied im Ärztlichen Beirat des DMSG-Bundesverbandes und Prof. Dr. med. Mircea Ariel Schoenfeld ein wichtiger Durchbruch beim Verständnis dieser Symptome gelungen.
Das Team untersuchte innerhalb einer Studie im Rahmen eines Forschungsprojektes des Lurija Instituts MS-Patienten mit unterschiedlichen Ausprägungen von Fatigue mittels funktioneller Kernspintomographie während einer kognitiv anspruchsvollen Aufgabe. Die Daten verglichen sie mit gesunden Normalprobanden.
„Zum ersten Mal ist es gelungen, Funktions-Veränderungen in unterschiedlichen Hirnnetzwerken der Patienten nachzuweisen“, so der Erstautor der Arbeit Stefan Spiteri.
Die abnorme Grundmüdigkeit spiegelte sich wider in Veränderungen der Aktivität in höheren Kontrollnetzwerken des Vorderhirns.
Demgegenüber beobachteten die Wissenschaftler eine Abnahme der Aktivität in visuellen Aufmerksamkeitsnetzwerken des Hinterhaupthirns, die mit der abnormen Erschöpfbarkeit während der bearbeiteten visuellen Arbeitsgedächtnisaufgabe einherging.
Die Erkenntnis, dass Ermüdung und Ermüdbarkeit bei Patienten mit MS unterschiedliche hirnfunktionelle Korrelate haben, trägt wesentlich zum Verständnis dieser Symptome bei. Sie dient als Basis für die Entwicklung neuer Behandlungsansätze, zum Beispiel durch transkranielle elektrische oder magnetische Stimulation der entsprechenden Hirnareale.
Originalpublikation:
Spiteri S, Hassa T, Claros-Salinas D, Dettmers C, Schoenfeld MA. Neural correlates of effort-dependent and effort-independent cognitive fatigue components in patients with multiple sclerosis Mult Scler. 2017 Nov 1:1352458517743090. doi: 10.1177/1352458517743090. [Epub ahead of print]. Mehr
Quelle: LURIJA INSTITUT für Rehabilitationswissenschaften und Gesundheitsforschung, idw – 06.12.2017