Kraftminderung
– von der leichten Ungeschicklichkeit bis hin zu Lähmungserscheinungen
Lähmungen, auch Paresen genannt, treten nicht selten bereits beim ersten Schub der Multiplen Sklerose auf. Häufig werden sie aber zunächst gar nicht als solche erkannt, insbesondere, wenn sie sich wieder vollständig zurückbilden.
Die Betroffenen stellen lediglich fest, dass ein Bein oder Arm schneller „müde” oder „schwer” wird. Oder sie bleiben mit einem Fuß leicht an Türschwellen, Teppichen oder Treppen hängen, knicken schnell um oder geraten oft ins Stolpern.
Häufig werden diese Veränderungen sogar zunächst nicht vom Patienten selbst, sondern von Angehörigen bemerkt.
Dabei sind die Beine früher, häufiger und stärker von den Lähmungen betroffen als die Arme. Lähmungen in den Armen äußern sich anfangs oft eher durch Ungeschicklichkeiten in der Feinmotorik, beispielsweise beim Schreiben oder Knöpfen.
Im späteren Stadium kann die Lähmung schwer wiegende Folgen für den Patienten haben. Sie schränkt die Beweglichkeit stark ein und ist ein wichtiger Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Die Lähmung kann dazu führen, dass der Betroffene auf fremde Hilfe oder sogar einen Rollstuhl angewiesen ist.
Lähmungen: Häufig sind Spastiken die Ursache
Den Lähmungen liegt bei der Multiplen Sklerose meistens eine Verkrampfung der Muskulatur (Spastiken) zu Grunde. Diese kann – anders als im Volksmund verstanden – zunächst nur leichtgradig bestehen und beispielsweise als Steifigkeit oder Spannungsgefühl in den Beinen bemerkt werden. Manche Patienten empfinden ihren Gang als ungelenk und hölzern, bei anderen beginnen die Beine nach Anstrengungen zu zittern.
Lähmungen im frühen Stadium
Die Lähmungen bzw. Spastiken sind größtenteils auf MS-Herde zurückzuführen, die an der so genannten Pyramidenbahn liegen. Dieses Nervenbahnsytem, das nach pyramidenförmigen Nervenzellen im Gehirn benannt ist, steuert Bewegungsabläufe, die unserer Willkür unterliegen, sprich: Laufen, Gehen, Greifen, Heben und vieles mehr. Dabei sind die Beine eher, häufiger und stärker von den Lähmungen betroffen als die Arme. Grund ist einerseits, dass die Nerven der Beinen länger und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit betroffen sind. Anderseits erhöht die Lage der Nervenbahnen für die Beinbewegung im Rückmark, kombiniert mit der typischen Form der dort lokalisierten MS-Herde, das Risiko einer Störung.
Das Auftreten der frühen Lähmungen ist abhängig vom Verlauf der Multiplen Sklerose. So sind sie bei der rein schubförmigen MS deutlich seltener als bei der schubförmig progredienten. Beim primär chronisch progredienten Verlauf stellen die Lähmungen sogar das Kernsymptom dar.
Bereits im frühen Stadium kann der Arzt bei seiner klinisch-neurologischen Untersuchung die Beteiligung der Pyramidenbahn anhand so genannter Pyramidenbahnzeichen erkennen. Mit Hilfe verschiedener Reflex-Untersuchungen werden sie nachgewiesen. Dazu zählen auch Babinski- oder Bauchhautreflexe. Die Muskeleigenreflexe, die z.B. an Knie oder Archillessehne ausgelöst werden, sind dann meist gesteigert provozier-bar.
Lähmungen im fortgeschrittenen Stadium
Häufig erst nach 20 bis 30 Jahren, bei ungünstigem Verlauf der Multiplen Sklerose aber schon nach wenigen Monaten oder Jahren, können die Lähmungen dazu führen, dass der Patient von fremder Hilfe abhängig wird. Der Weg dorthin ist aber weit. Werden die Spastiken stärker, treten meistens zunächst so genannte Streckspasmen auf. Sie führen dazu, dass sich die Muskeln, die für die Streckung – beispielsweise der Beine – verantwortlich sind, plötzlichen anspannen. Die Folge sind unwillkürliche Bewegungen, die die Beugefähigkeit einschränken und besonders häufig nachts vorkommmen. Diese Streckspasmen sind unangenehm und teilweise mit Schmerzen verbunden. Sie können spontan auftreten, meistens werden sie jedoch durch bestimmte Bewegungen, wie Husten oder Gähnen, ausgelöst.
In vielen Fällen lösen im Laufe der Zeit so genannte Beugespasmen zunehmend die Streckspasmen ab. Bei den Beugespasmen werden die Muskeln verkürzt, die für Beugebewegungen zuständig sind: Plötzlich werden zum Beispiel die Beine in den Hüft- und Kniegelenken gebeugt. Die Patienten empfinden diese Form der Spasmen oft unangenehmer und schmerzhafter als die Streckspasmen. Auch die Beugespasmen lassen sich durch verschiedene Faktoren auslösen, doch hier reichen bereits innere Reize aus: Schon eine Blaseninfektion, eine volle Blase oder gefüllter Darm können zu den unwillkürlichen Bewegungen führen.
Die Beugespasmen können – insbesondere bei unzureichender Pflege – mit der Zeit in einen gefährlichen Kreislauf münden: Die durch die Spastik erhöhte Spannung in der betroffenen Muskulatur führt zu einer Veränderung des Muskel- und Bindegewebes. Dadurch verkürzt sich der Muskel und seine Elastizität lässt nach. Das wiederum hat zur Folge, dass der Muskel bei immer kleiner werdenden Reizen mit Anspannung reagiert, die früher nicht ausgereicht hätten. Der Kreislauf führt letztendlich dazu, dass die Muskeln langsam erstarren und die zugehörigen Gelenke versteifen, d.h. dass beispielsweise die Beine dauerhaft in einer Beugestellung verharren. Diese Störung, die Paraplegie en flexion genannt wird, ist sowohl für die Patienten als auch für ihre Pfleger extrem belastend.
Medikamente mildern die Muskelanspannung
Die beschriebenen Symptome der Multiplen Sklerose sind zwar – verständlicherweise – sehr gefürchtet, doch Arzneimittel und Krankengymnastik können Linderung verschaffen. Verschiedene Medikamente sind in der Lage, die Muskelanspannung zu mildern und gymnastische Übungen tragen dazu bei, die Muskeln weich und geschmeidig zu halten. Bei sehr schweren Spastiken kannz.B. Botulinumtoxin in die Muskeln gespritzt oder eine Medikamentenpumpe dauerhaft eingesetzt werden.
(Quelle: ms-live.de)