
MS: Heilung in Sicht?

Ein Forscherteam um Dr. Mark Freedman und Dr. Harold Atkins von der Ottawa University hat nun einen völlig neuen, sehr radikalen Therapieansatz entwickelt: Eine Art ‚Reboot’ des Immunsystems. Dr. Freedman erklärt die Idee dahinter: „Unser Immunsystem hat den Vorteil eines guten Gedächtnisses. Wurde ein Virus einmal identifiziert, ist das Immunsystem beim zweiten Mal vorbereitet, den Virus auszuschalten. Bei einer Autoimmunerkrankung muss man das Immunsystem dazu bringen, einmal ausgemachte Feinde zu vergessen. Dafür muss man das Gedächtnis des Systems löschen“.
Kommt es dadurch zu einer MS-Heilung?
MS-Heilung: Das Immunsystem auf Werkseinstellungen zurücksetzen
Dazu schleusten die Forscher blutbildende Stammzellen von MS-Patienten mit Hilfe eines Medikaments vom Knochenmark ins Blut. Sie entfernten diese durch Blutabnahme, bereinigten sie und froren die Stammzellen ein. Im nächsten Schritt zerstörten die Forscher das Immunsystem der Patienten durch Chemotherapeutika. Die Patienten waren somit zwar vorübergehend vollkommen ungeschützt vor Keimen und Viren, allerdings wurden durch die Zerstörung der Immunzellen auch die Zellen vernichtet, die das Nervensystem zuvor fehlgeleitet angegriffen hatten.
Anschließend wurden den streng isolierten Patienten über eine Infusion die zuvor entnommenen Stammzellen wieder zugeführt. Diese nahmen sofort ihre Arbeit wieder auf und bildeten ein neues Immunsystem. Das Erstaunliche daran: Die neu gebildeten Immunzellen griffen das Nervensystem nicht mehr an, die Krankheit war gestoppt. Für die Betroffenen fühlte sich das bereits an wie eine Multiple Sklerose-Heilung.
„Wir rebooten das Immunsystem, so wie man auch einen Computer neustarten kann”, erklärt Dr. Mark Freedman. Bei bisher 24 MS-Patienten, die auf diese Weise therapiert worden waren, hatten sich auch nach dreizehn Jahren keine neuen Schübe der Krankheit und keine Entzündungsreaktionen mehr gezeigt.
Applaus aus der Fachwelt
Keinem anderen Forscherteam sind solche Ergebnisse bisher gelungen. Das renommierte Fachmagazin Lancet, das die Studie veröffentlichte, resümiert: „Kein anderer Therapieansatz hat es bisher geschafft, Multiple Sklerose in einem solchen Maße unter Kontrolle zu bringen und sogar neurologische Schäden zu reparieren“.
Denn die Behandlung hielt das Immunsystem nicht nur davon ab, weiter den eigenen Körper zu bekämpfen, auch bestehende Schäden konnten durch den Neustart der Immunzellen behoben werden. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die heute 41-jährige Jennifer Molson. Vor der Behandlung litt sie an einer aggressiven, schnell verlaufenen Form von Multipler Sklerose. Im Alter von 21 Jahren war bei ihr die Auto-Immunkrankheit festgestellt worden, fünf Jahre später saß sie bereits im Rollstuhl und war nicht mehr in der Lage eigenständig ihren Alltag zu meistern.
Schon elf Monate nach der Neubildung ihres Immunsystems konnte sie wieder selbstständig leben. „Vor der Immuntransplantation konnte ich weder sprechen noch gehen und musste betreut werden”, erzählt sie. „Jetzt kann ich selbstständig gehen, lebe in meiner eigenen Wohnung und arbeite wieder Vollzeit“. Seit 14 Jahren ist sie bereits symptomfrei und zählt Ski und Kajak fahren zu ihren Hobbys.
Für sie kommt das einer MS-Heilung gleich.
Bei 40 Prozent der anderen Teilnehmer verbesserte sich ebenso die Sehfähigkeit, Muskelschwäche oder Gleichgewichtsprobleme verschwanden.
Riskant aber wirksam
Auch wenn die bisherigen Ergebnisse äußerst vielversprechend klingen, warnen die Fachwelt und auch die beiden Wissenschaftler selbst davor, dass die neue Therapiekombination aus Chemotherapie und Stammzellentransplantation noch enorme Risiken mit sich bringe und sicher nicht für jeden MS-Patienten in Frage komme. Auch tödliche Nebenwirkungen seien nicht ausgeschlossen. Dennoch sind die Erkenntnisse der Wissenschaftler hinsichtlich einer MS-Heilung ein Fundament für weitere Forschungen, das bei Millionen von Betroffenen Hoffnung weckt.
(Quelle: praxisvita.de)