Das bringt der Schwerbehindertenausweis
Das bringt der Schwerbehindertenausweis
Günstiger auf Konzerte, kostenlos mit Bus und Bahn
Was ist das Beste am Schwerbehindertenausweis? Für Sebastian Richter ist das ganz klar: „Dass ich günstiger auf Konzerte und zu Festivals komme. Außerdem fahre ich kostenlos mit Bus und Bahn und kann auch jemanden mitnehmen.“ Der 30-jährige Münchener bekam seinen Ausweis vor elf Jahren. Seit einem Unfall ist der begeisterte Sportkletterer querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen.
Nicht alle Berechtigten holen sich den Ausweis
Rund jeder Zehnte in Deutschland hat einen Schwerbehindertenausweis. Fachleute gehen aber davon aus, dass viel mehr Menschen schwerbehindert sind. „Aus den Beratungsstellen wissen wir, dass viele erst einmal versuchen, selbst mit den Auswirkungen der Behinderung fertig zu werden. Erst später erfahren sie, dass sie mit dem Ausweis Anspruch auf Nachteilsausgleiche haben“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.
Grad der Behinderung entscheidend
Ob jemand den Schwerbehindertenausweis bekommt und welche Vergünstigungen damit einhergehen, richtet sich nach dem Grad der Behinderung. Diesen stellt das zuständige Versorgungsamt auf Antrag der Betroffenen fest (Schritt für Schritt zum Ausweis). In Zehnerschritten von 20 bis 100 soll er ausdrücken, wie sehr sich gesundheitliche Schäden auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Ab einem Grad von 50 gilt man als schwerbehindert und hat Anrecht auf den Ausweis. Dort wird der Grad unter dem Kürzel „GdB“ eingetragen.
Sozialdienst hilft
„Alleine wäre ich mit dem Antrag damals überfordert gewesen, aber der Sozialdienst der Rehaklinik hat mir geholfen“, erzählt Sebastian Richter. Er hat einen Grad der Behinderung von 100. Im ersten Jahr nach dem Unfall waren die Ärzte noch von einer inkompletten Querschnittslähmung ausgegangen, deshalb erhielt er den Schwerbehindertenausweis zunächst befristet für ein Jahr. Inzwischen gilt er unbefristet.
Hilfen im Alltagsleben
Schwerbehinderte Menschen erhalten besondere Rechte, etwa im Berufsleben. Je nach Art der Behinderung können weitere Hilfen im Alltagsleben dazukommen. Sie werden als sogenannte Merkzeichen ebenfalls im Behindertenausweis eingetragen (siehe Tabelle). Auch Patienten mit schweren Krankheiten wie etwa Krebs haben Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, um sie zum Beispiel im Job vor Überlastung zu schützen. Der wird in der Regel befristet vergeben.
Diese Rechte haben schwerbehinderte Berufstätige
- Ihnen stehen bei einer Fünf-Tage-Woche fünf zusätzliche Urlaubstage im Jahr zu.
- Sie müssen keine Überstunden machen.
- Sie können bei der Einkommensteuer einen Pauschbetrag zwischen 310 und 1 420 Euro im Jahr je nach Grad der Behinderung geltend machen, mit den Merkzeichen H (hilflos) oder Bl (blind) sogar 3 700 Euro.
- Sie dürfen abschlagsfrei früher in Rente gehen.
- Sie genießen einen besonderen Kündigungsschutz.
Besser geschützt im Berufsleben
Sebastian Richter arbeitet als Grafikdesigner und Künstler in einer Werkstatt für Körperbehinderte in München – ein sicherer Arbeitsplatz. Wollen andere Unternehmen Personal abbauen, müssen sie für ihre schwerbehinderten Mitarbeiter prüfen, wie sie diese weiter beschäftigen könnten. Erst wenn alles versucht wurde und das zuständige Integrationsamt einer Kündigung zugestimmt hat, ist sie rechtens. Den besonderen Schutz am Arbeitsplatz genießen auch Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40. Sie müssen dazu beim Versorgungsamt einen Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen stellen.
Mobil bleiben trotz Behinderung
Der Schwerbehindertenausweis hilft auch, mobil zu bleiben. Autobesitzer mit dem Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert) zahlen beispielsweise weniger oder gar keine Kfz-Steuer und dürfen auf Behindertenparkplätzen parken, unter bestimmten Voraussetzungen auch im Halteverbot oder in Fußgängerzonen, wenn etwa keine anderen Parkplätze frei sind. Dazu benötigen sie einen blauen Parkausweis, den sie bei der Straßenverkehrsbehörde am Wohnort beantragen können. Er gilt für alle europäischen Länder.
Befreiung von der Kfz-Steuer
Der Schwerbehindertenausweis verhilft je nach bewilligtem Merkzeichen zu einer Senkung oder gar Befreiung von der Kfz-Steuer. Wer wie Sebastian Richter kein Auto hat, kann stattdessen kostenlos oder ermäßigt öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Die Freifahrt in Bus und Bahn muss extra beantragt werden. Dazu stellt das Versorgungsamt ein „Beiblatt“ im Bankkartenformat aus. Damit diese Karte als Fahrschein gilt, muss Richter jedes Jahr eine neue Wertmarke aufkleben. Die ist für ihn kostenlos.
Europa lässt auf sich warten
Der deutsche Schwerbehindertenausweis gilt im Ausland nicht. Momentan ist der blaue EU-Parkausweis die einzige grenzüberschreitende Regelung in Europa. Ansonsten bestimmt jedes Land für sich, wer als schwerbehindert anerkannt wird und welche Rechte sich daran anknüpfen.
Kostenloser Zugang zu barrierefreien sanitären Anlagen
Eine private Initiative ist da schon weiter: Seit 1986 existiert der „Euroschlüssel“, ein europaweites Schließsystem, das körperlich beeinträchtigten Menschen kostenlos Zugang zu barrierefreien sanitären Anlagen verschafft. Der Einheitsschlüssel öffnet Autobahn- und Bahnhofstoiletten, passt aber auch für öffentliche WCs in Fußgängerzonen, Museen und Behörden. Schwerbehinderte können ihn für 23 Euro beim Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt bestellen.
Kampfgeist und langer Atem
Wer einen Behindertenausweis beantragt, braucht Geduld: Das Verfahren kann sich über Monate hinziehen. Häufig stellt das Versorgungsamt zunächst nicht den für den Ausweis nötigen GdB von 50 fest und vergibt auch keine Merkzeichen. Sozialverbände wie der VdK helfen ihren Mitgliedern dann, Widerspruch einzulegen und vertreten sie falls nötig auch vor Gericht.
Keine Gnade, sondern Rechtsansprüche
VdK-Präsidentin Bentele, selbst von Geburt an blind, macht Mut: „Die Menschen sollen keine Angst und keine Scham haben. Es geht nicht darum, sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Der Ausweis und die damit verbundenen Nachteilsausgleiche sind keine von der Gesellschaft gnädig zugestandene Erleichterung. Es geht um Rechtsansprüche, für die wir lange kämpfen mussten.“
Mehr zum Thema: In unserem Special Menschen mit Schwerbehinderung lesen Sie, was schwerbehinderte Menschen beachten sollten, wenn sie früher in Rente gehen.
Schritt für Schritt zum Ausweis – eine Anleitung
1. Zuständigkeit klären
In den meisten Bundesländern können Sie den Schwerbehindertenausweis beim Versorgungsamt beantragen. Unter integrationsaemter.de/versorgungsaemter finden Sie das zuständige Amt. Oft gibt es das Antragsformular im Internet.
2. Beraten lassen
Holen Sie sich fürs Ausfüllen des Antrags Hilfe, etwa von den Sozialdiensten der Rehakliniken, Gewerkschaften, dem Sozialverband VdK Deutschland oder dem Sozialverband Deutschland.
3. Mit Ärzten reden
Sagen Sie Ihrem Hausarzt und behandelnden Fachärzten, dass Sie den Ausweis beantragen wollen. Sie müssen die Ärzte im Antrag nennen und von der Schweigepflicht entbinden, damit sie dem Amt Auskunft erteilen dürfen. Bitten Sie Ihre Ärzte um Befundberichte, Laborwerte und sonstige Unterlagen.
4. Antrag ausfüllen
Nennen Sie nicht nur die „Hauptbehinderung“, sondern alle Krankheiten und Einschränkungen. Je aussagekräftiger Ihr Antrag, desto besser kann das Amt prüfen. Legen Sie ein Passfoto für den Ausweis bei, wenn Sie mit einem hohen Grad der Behinderung rechnen. Nicht vergessen: Antrag unterschreiben.
5. Kopieren und abschicken
Senden Sie medizinische Unterlagen nie im Original. Kopieren Sie den ausgefüllten Antrag einmal komplett, bevor Sie ihn abschicken. Das erleichtert Ihnen die Arbeit, falls Rückfragen kommen.
6. Geduld haben
Oft dauert es Monate, bis Sie den Feststellungsbescheid erhalten. Wenn Sie mit diesem nicht einverstanden sind, legen Sie innerhalb eines Monats Widerspruch ein. Lassen Sie sich dafür beraten (siehe Punkt 2).
Auch ich habe aufgrund meiner MS den Antrag auf den Schwerbehindertenausweis gestellt. Nach hartnäckigem Nachfragen und Widerspruch habe ich dann endlich 90% Behinderungsgrad und das Merkzeichen aG erkämpft.
Lasst euch nicht abspeisen mit 70%, denn die werden euch sicherlich, wie in meinem Fall zunächst gewährt. Sollten eure gesundheitlichen Einschränkungen einen höheren Schweregrad und insbesondere ein Merkzeichen erfordern, scheut euch nicht davor, diesen Anspruch auch hartnäckig durchzusetzen.
Ich wünsche euch viel Erfolg.
Anna
http://www.mitmsdurchsleben.simplesite.com